World Brain Day 2017

„Schlaganfall wirksam vorbeugen, optimal behandeln“

Pressekonferenz zum Welttag des Gehirns, Wien, 18. Juli 2017

Prim.a Univ.-Doz.in Dr.in Elisabeth Fertl, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, OÄ Doz.in Dr.in Julia Ferrari

Im Zeichen der Vorbeugung und Behandlung des Schlaganfalles steht heuer der Welttag des Gehirns der Weltföderation fürNeurologie am 22. Juli. 17 Millionen Menschen weltweit erleiden pro Jahr einen Schlaganfall, in Österreich sind es 24.000– bei steigender Tendenz. Was die Akutbehandlung betrifft, ist die Versorgungslage in Österreich im internationalen Vergleichhervorragend, berichten Expertinnen und Experten. Weil 90 Prozent aller Schlaganfälle auf zehn modifizierbare Risikofaktorenzurückzuführen sind, müsse das Präventionspotenzial noch besser ausgeschöpft werden. Von der WeltgesundheitsorganisationWHO wurde der Schlaganfall nach langer Diskussion jetzt als neurologische Erkrankung anerkannt. 

World Federation of Neurology – World Brain Day 2017 

Auf die beeindruckenden Fortschritte in der Therapie des Schlaganfalls, die in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländernauch flächendeckend bei den Patienten ankommen, und auf das große Präventionspotenzial bei dieser Erkrankung weist dieÖsterreichische Gesellschaft für Neurologie anlässlich des Welttages des Gehirns hin. Jährlich am 22. Juli macht die Weltföderationfür Neurologie WFN auf ausgewählte neurologische Erkrankungen und die Bedeutung der Neurologie aufmerksam.

„Beim Thema Schlaganfall stehen wir vor einer paradoxen Situation. Auf der einen Seite gibt es kaum eine Krankheit, inder wir in den letzten eineinhalb Jahrzehnten so viele und wichtige Durchbrüche erreicht haben. Und dennoch gilt der Schlaganfallheute zu Recht als die Epidemie des 21. Jahrhunderts“, so Prim.a Univ.-Doz.in Dr.in Elisabeth Fertl, Präsidentin der ÖsterreichischenGesellschaft für Neurologie (ÖGN), Vorständin der Neurologischen Abteilung am Krankenhaus Rudolfstiftung und Gastprofessorinder Medizinischen Universität Wien. 24.000 der jährlich weltweit fast 17 Millionen Betroffenen leben in Österreich. DieTendenz ist schon aufgrund der demographischen Entwicklung steigend.

Der Welttag des Gehirns 2017 steht unter dem Motto „Schlaganfall – wirksam vorbeugen, optimal behandeln“. „Damit willdie Weltföderation für Neurologie (WFN), in diesem Jahr in Partnerschaft mit der Welt-Schlaganfall-Organisation (WSO),nicht nur ein besseres Verständnis für diese schwere Krankheit schaffen, sondern auf globaler Ebene zur Reduktion der Todesfälleund Behinderungen beitragen“, so Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Generalsekretär der Weltföderation für Neurologie, Wien/London.

Schlaganfall von der WHO als neurologische Erkrankung anerkannt
Angesichts der wachsenden Bedeutung hat auch die Weltgesundheitsorganisation ihre Sicht auf die Krankheit neu definiert.In der aktuell gültigen Version der International Classification of Diseases (ICD-10) ist der Schlaganfall noch den kardiovaskulärenErkrankungen zugeordnet. „Das ist historisch gewachsen und beruht auf inzwischen überholten medizinischen Konzepten der1950er Jahre. So gab es bei der Festlegung 1955 so gut wie keine Therapieoptionen beim Schlaganfall. Dass selbst schwersteFälle heute behandelbar sind, ist vor allem den Errungenschaften der Neurologie zu verdanken. Alle Symptome zerebrovaskulärerErkrankungen stehen in einem Zusammenhang mit Funktionsstörungen des Gehirns“, betont Prof. Grisold. „Folgerichtig hatdie WHO nach langen Diskussionen, den Empfehlungen der Experten der ‚Neurology Topic Advisory Group’ folgend, den Schlaganfallim vermutlich 2018 in Kraft tretenden ICD-11 den neurologischen Erkrankungen zugeordnet. Dass wir uns darüber freuen, hatpraktische Gründe im Interesse unserer Patientinnen und Patienten. Diese Neuzuordnung beeinflusst die Ressourcenplanungund Finanzierung.“
Österreich mit vorbildlicher Versorgung
In Österreich kommen die Errungenschaften der modernen Schlaganfall-Behandlung bei der Mehrzahl der Patientinnen und Patientenan, sagt ÖGN-Präsidentin Fertl: „Wir können zu Recht auf unsere Versorgungsdaten stolz sein, die international empfohleneStandards erfüllen. Die Mehrheit aller Schlaganfall-Patienten wird in einer Stroke Unit behandelt, bis zu 25 Prozent werdenmittels iv. Thrombolyse versorgt. Bis zu zehn Prozent der Betroffenen erhalten eine endovaskuläre Behandlung.“

Mit den 38 Stroke Units und den flächendeckend vorhandenen Interventionszentren für eine endovaskuläre Schlaganfallbehandlungverfügt Österreich über ein dichtes Netz an hochspezialisierter Versorgung für alle Betroffenen. Prim.a Fertl: „Damit stehenwir auch im internationalen Vergleich hervorragend da. Ein gesamteuropäischer Survey, der demnächst publiziert wird, zeigt,dass noch lange nicht alle europäischen Länder diese Versorgungsstandards erreicht haben.“

Auch massive Gehirnverschlüsse heute behandelbar

In der Behandlung des akuten Schlaganfalls gab es zuletzt wichtige Fortschritte. Weil die Thrombolyse bei Verschluss vongroßen Gehirngefäßen – das betrifft etwa 10 Prozent der Fälle – nicht ausreichend effektiv ist und genau dies ganz schwereSchlaganfälle verursacht, wird in solchen Fällen eine mechanische Thrombektomie durchgeführt. „Die technische und infrastrukturelleEntwicklung macht die endovaskuläre Schlaganfallbehandlung über Katheter möglich“, betont Prim.a Fertl. „Das ist ein vergleichsweisekleiner Eingriff, aber einer mit großer Wirkung: Viele Patientinnen und Patienten, die mit ernsthaften neurologischen Defiziteneingeliefert werden, zeigen sofort nach der Behandlung Verbesserungen und nicht wenige davon können bereits nach wenigenTagen nach Hause gehen.“

Kombinationsbehandlung hilft auch noch Stunden nach dem Anfall

Eine umfangreiche Datenlage – mit sechs randomisierten Studien und einer Metaanalyse – belegt, dass die endovaskuläre Schlaganfallbehandlungein sicheres und effektives Verfahren ist. „Wie neue Daten zeigen, werden wir in Zukunft wahrscheinlich noch mehr Betroffeneretten und ihnen ein Leben mit schwerer Behinderung ersparen können“, so die ÖGN-Präsidentin. „Bisher gingen wir davonaus, dass eine endovaskuläre Schlaganfallbehandlung nur im Zeitfenster von weniger als sechs Stunden nach dem Ereigniserfolgversprechend ist. Nun hat aber die kürzlich präsentierte DAWN-Studie nachgewiesen, dass nahezu die Hälfte der Betroffeneneinen länger als sechs Stunden zurückliegenden Schlaganfall dank einer Thrombektomie ohne gravierende Behinderung überstanden.“

„F.A.S.T“ handeln rettet Leben

Der Faktor Zeit spielt in der Behandlung von Schlaganfällen eine ganz entscheidende Rolle. Prof. Grisold: „Die WFN weistanlässlich des Welttages des Gehirns nochmals auf einen einfachen und für jeden Laien verständlichen Leitfaden hin, mitdem sich der Verdacht auf einen Schlaganfall leicht abklären lässt. Alles was jemand im Akutfall wissen muss, lässt sichin dem Begriff FAST – also dem englischen Wort für schnell – zusammenfassen.“

  • F wie Face (Gesicht): Bitten Sie die Person zu lächeln! Hängt der Mundwinkel auf einer Seite herab?
  • A wie Arm: Bitten Sie die Person, beide Arme zu heben! Ist ein Arm gelähmt und sinkt nach unten?
  • S wie Sprache: Bitten Sie die Person, einen einfachen Satz zu wiederholen! Sind die Worte undeutlich? Kann sieden Satz korrekt wiederholen oder hat sie Schwierigkeiten ihn zu verstehen?
  • T wie Time (Zeit): Wenn eines der oben genannten Symptome auftritt, ist Zeit ein wichtiger Faktor. Rufen Sie sofortdie Rettung und fahren Sie ins Krankenhaus.
Schlaganfällen wirksam vorbeugen, erfolgreiche Risikokontrolle in der Nachbetreuung

„Auch wenn wir in der Akuttherapie von Schlaganfällen heute schon sehr erfolgreich sind, ist das kein ungetrübter Grundzur Freude. Denn ein erheblicher Anteil von Schlaganfällen wäre vermeidbar“, sagt OÄ Doz.in Dr.in Julia Ferrari, Abteilungfür Neurologie, Neurologische Rehabilitation und Akutgeriatrie, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Wien. Zehn Risikofaktoren,so hat die INTERSTROKE-Studie gezeigt, sind für 90 Prozent aller Schlaganfälle weltweit verantwortlich – nämlich Bluthochdruck,Bewegungsmangel, ungünstige Blutfettwerte, Ernährung, das Verhältnis von Taillen- und Hüftumfang, Rauchen, psychosozialeFaktoren, Alkohol, kardiale Erkrankungen und Diabetes.

Kein Rückgang bei zentralen Risikofaktoren feststellbar

Das österreichische „Stroke Unit Register“ ergibt bei den Risikofaktoren, die bei Schlaganfall-Patienten festgestelltwurden, folgendes Bild: 79 Prozent von ihnen hatten einen zu hohen Blutdruck. 54 Prozent wiesen ungünstige Blutfettwerteauf. Vorhofflimmern lag bei 26 Prozent vor, 18 Prozent waren Raucher.

Doz.in Ferrari: „Mit Ausnahme des Rauchens sind die genannten Risikofaktoren in den letzten Jahren nicht oder nichtwesentlich zurückgegangen. Auch wenn es zumindest teilweise plausible Erklärungen gibt – so wird Vorhofflimmern heutehäufiger entdeckt und unsere Patienten werden zudem immer älter und multimorbider – muss man angesichts dieser Datendoch feststellen, dass wir die Aufklärungsarbeit sicher noch intensivieren müssen.“

Es gibt ein Bündel von Maßnahmen, die nachweislich dafür sorgen können, dass die Zahl der Schlaganfälle abnehmen kann. Dazugehört eine bessere Früherkennung und Kontrolle von Bluthochdruck: Wie eine Metaanalyse zeigt, lässt sich das Schlaganfall-Risikoallein damit um 32 Prozent reduzieren. Wer Übergewicht abbaut, senkt auch den Blutdruck und damit auch das Schlaganfall-Risiko.Doz.in Ferrari: „Bessere Früherkennung und damit frühzeitige Behandlung beim immer noch zu selten erkannten Vorhofflimmernwürde Menschenleben retten und Behinderungen ersparen. Ebenfalls sinnvoll wären ein umfassender Rauchstopp oder einewirksame LDL-Kontrolle.“

Strukturierte Nachsorge hilft bei Lebensstilumstellung

Bemühungen zur Lebensstil-Umstellung würden auch für jene Personen gelten, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben,so die Expertin. „Wie Studien zeigen, bringen strukturierte Betreuungsprogramme bei allen Krankheiten mit Lebensstilkomponentendeutliche Vorteile gegenüber der herkömmlichen Nachsorge. Im digitalen Zeitalter lassen sich solche Disease ManagementProgramme besonders gut umsetzen.“ Das zeigt etwa eine australische Studie, in der Herz-Patienten vier Textnachrichtenpro Woche über eine Handy-App erhielten, auf der sie auch ihre persönlichen Werte eintragen konnten. Nach sechs Monatenhatten diese Patienten nicht nur bessere Cholesterin- und Blutdruckwerte als die Vergleichsgruppe, sondern waren auchkörperlich aktiver, hatten mehr Körpergewicht verloren und deutlich öfter mit dem Rauchen aufgehört. In eine ähnlicheRichtung geht die aktuelle österreichische „Stroke Card“-Studie: Hier bekommen die Patienten des Nachsorgeprogramms einenlink für eine personalisierte Internetseite, auf der sie laufend Blutdruckwerte, Bewegung, Tabakkonsum und Körpergewicht eintragen. In diesem Projekt soll wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass durch eine strukturierte Nachsorge Rezidiv-Schlaganfälle und kardiovaskuläre Erkrankungen verhindert, sowie die Lebensqualität nach einem Schlaganfall verbessert werden kann.

Journalistenservice siehe B&K