Neurologie

ein Fach stellt sich vor

Von der punktgenauen Diagnose zur präzisen Therapie

Im Jahr 2001 hat sich die frühere gemeinsame Fachgesellschaft Neurologie und Psychiatrie in zwei eigene Fachgesellschaften geteilt. Das Fach Neurologie war über viele Jahrzehnte eng mit dem Fach Psychiatrie verknüpft, und ein großer Teil von niedergelassenen Fachärzt:innen hat in der Ausbildung die Berechtigung erlangt, in beiden Fächern tätig zu sein. Bereits Mitte der 90er Jahre wurde entsprechend den anderen europäischen Ländern diese Entwicklung bei der Ausbildung berücksichtigt, seither ist entweder die Ausbildung zum/zur Facharzt/-ärztin für Neurologie oder Psychiatrie möglich.

Geschichte der Neurologie

Historisch hat die Neurologie ihren Ursprung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und die ersten österreichischen Lehrbücher zum Fach Neurologie von Rosenthal bzw. wenig später von Benedikt stammen aus der Zeit um ca. 1860. Die Neurologie hat in Europa und den Vereinigten Staaten unterschiedliche Wurzeln.

Besonders in den deutschsprachigen Ländern besteht eine enge Verwandtschaft mit der Inneren Medizin bzw. eine traditionelle Verknüpfung mit der Psychiatrie, die auch bei der ersten neurologischen Einheit in Wien im vorigen Jahrhundert eine wichtige Schrittmacherfunktion erfüllt hat.

Grundlagen

Die Grundlage der Neurologie war und ist die Neuroanatomie, die eine genaue Lokalisation der Störung in Gehirn, Rückenmark, peripherem Nerv und Muskel erlaubt. Deshalb hat die Neurologie auch eine enge Verknüpfung mit der Neuropathologie, welche die vergleichende Grundlage für klinische Studien über viele Jahrzehnte darstellte.Das änderte sich erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts grundlegend mit dem Hinzutreten der Elektrophysiologie, die durch Elektroenzephalogramm und später Nervenleit-geschwindigkeit, Elektromyographie und evozierten Potentialen eine Erfassung der Funktion ermöglicht.

Erweitert wird das Spektrum in den 1970er Jahren mit Erkenntnissen und der praktischen Anwendung der Neuroimmunologie und zuletzt der Genetik. Epochale praktische Auswirkung auf das Fach Neurologie hat die Einführung der bildgebenden Verfahren (Ultraschall, Computertomographie, Kernspintomographie) und der nuklear-medizinischen Methoden, insbesondere des PET, die neben der punktgenauen Lokalisation auch funktionelle Abläufe und Störungen demonstrieren lassen. Diese Entwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen und wird laufend verbessert und weiterentwickelt.

Neurologie in Österreich

Die Präsenz der Neurologie im Gesundheitssystem hat in den letzten Jahren bedeutend zugenommen. Bis in die Mitte der 70er Jahre war das Fach auf Unikliniken und Sonderkrankenanstalten beschränkt. In den damaligen Schwerpunktkrankenhäusern bestand lediglich eine “Konsiliartätigkeit”, die sowohl Neurologie als auch Psychiatrie abdecken musste. 1976 wurde unter Prof. Stacher in Wien erstmals eine Neurologische Abteilung in ein Schwerpunktkrankenhaus (Lainz) integriert. Dieses Beispiel machte im Bundesgebiet Schule, und heute ist ein Schwerpunktkrankenhaus ohne Neurologie kaum vorstellbar. Auch die Ärzt:innenausbildungsordnung zum/zur Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin hat seit einigen Jahren entweder Neurologie oder Psychiatrie als zweimonatigen Bestandteil des Turnus. Im Niedergelassenenbereich besteht eine ähnliche Entwicklung, die aber bundesweit noch nicht abgeschlossen ist.

Neurologische Krankheitsbilder

Neurologische Krankheiten sind aber nicht einheitlich, sondern haben sowohl vielfältige Ursachen als auch unterschiedliche Erscheinungsbilder. Von den vielen neurologischen Krankheitsbildern werden an dieser Stelle exemplarisch nur einzelne Krankheitsbilder angeführt. Das zahlenmäßig am stärksten vertretene Krankheitsbild in der Neurologie sind Durchblutungsstörungen des Gehirns, dem so genannten Schlaganfall. Besonders beim “Schlaganfall” haben sich in den letzten Jahren zahlreiche neue Initiativen ergeben. Studien haben belegt, dass frühes neurologisches Eingreifen und die Möglichkeit des Auflösens des Gefäßverschlusses (Lyse) die Ergebnisse verbessert. Derartig aufwendige und auch nicht ungefährliche Therapien können aber nur von Neurologen mit spezieller Ausbildung und in speziellen Einrichtungen durchgeführt werden. Europaweit hat sich der Begriff von “Stroke units” (Schlaganfallstationen) etabliert und wird derzeit auch in Österreich flächendeckend eingeführt.

Neben der medikamentösen Therapie ist frühe Rehabilitation, neurologisches Patient:innenmanagement und die gesamtmedizinische Behandlung der Patient:innen im Vordergrund. Diese geht allerdings weit über die Akutphase hinaus und muss zusätzlich früh einsetzende Rehabilitation beinhalten.

Hier werden zusätzliche Neurorehabilitationszentren benötigt und auch die ambulante Rehabilitation muss vermehrt gefördert werden.

Noch wichtiger als die Akuttherapie und die Rehabilitation ist die Prophylaxe. Es muss der Neurologie gelingen, das Bewusstsein der Bevölkerung für “Schlaganfallpatient:innen” und “Schlaganfallgefährdung” zu wecken: Das beinhaltet Bewegung, Lebensstil, Ernährung und als wichtigsten Faktor Vermeidung des Bluthochdrucks, sowie Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Ziel dieser Initiativen soll sein, Schlaganfälle zu verhindern. “Jeder Schlaganfall ist ein Schlaganfall zu viel.”

Die Liste von neurologischen Krankheitsbildern, die in den letzten Jahren aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen besser behandelbar wurden, lässt sich beliebig fortsetzen. Als gutes Beispiel lässt sich die Multiple Sklerose anführen, bei welcher neuroimmunologische Behandlung zu einer Verminderung der Schubfrequenz und Verringerung der Intensität der Schübe geführt hat. Eine komplexe Grundlage aus klinischer Erfahrung, Erkenntnissen der Bildgebung (MRI) und vielen neuroimmunologischen Grundlagenarbeiten bilden die Basis dieser Leistung. Bei der MS hat diese positive Entwicklung auch weitere Verbesserungen des Patient:innenmanagements erbracht. MS-Zentren sind österreichweit Kompetenzzentren, die einerseits Therapien durchführen, andererseits die Patienten zusammen mit anderen Berufsgruppen optimal betreuen.

Die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen, wie beispielsweise M. Parkinson, ist aufgrund der Alterspyramide eine zunehmende Notwendigkeit. Nach der epochalen Einführung von L-Dopa vor wenigen Jahrzehnten stehen nunmehr eine ganze Reihe von Substanzen oder anderen Methoden zur Verfügung, die zur Besserung der Krankheitssymptome führen.

Weitere Beispiele für erfolgreich behandelte Erkrankungen sind Wirbelsäulenerkrankungen, bei denen aufgrund der klinischen Untersuchungen Läsionen der Bandscheiben und Nervenwurzeln (Bandscheibenvorfall) oft interdisziplinär verbessert behandelt werden können.

Anfallsleiden, Polyneuropathien, Muskelerkrankungen und Intensivneurologie sind weitere wichtige Krankheitsbilder, bei denen durch die Neurologie in den letzten Jahren Meilensteine gesetzt wurden. Aber besonders im fachübergreifenden interdisziplinären Bereich hat die Neurologie wichtige neue Akzente gesetzt. Hier sind interdisziplinäre Verknüpfungen vor allem mit der Neurochirurgie und der Orthopädie und der Internen Medizin festzustellen. Einen traditionell interdisziplinären Aspekt hat die Neuroonkologie, die sich einerseits der Behandlung der primären Hirntumore, andererseits der Behandlung neurologischer Auswirkungen bei Krebsleiden auf das Nervensystem widmet. Hier können durch Einbringen unterschiedlicher fachlicher Ansätze und Fähigkeiten verbesserte Ergebnisse für Patient:innen erzielt werden.

Für die nahe und ferne Zukunft ist eine weitere flächendeckende Versorgung Österreichs mit neurologischen Einheiten vom stationären und vom ambulanten Bereich zu wünschen. Insbesondere die Neurorehabilitation, die in den letzten Jahren große Verbesserungen erfahren hat, muss weiter ausgebaut werden, wobei auch der ambulante Bereich mit hochspezialisierten Behandlungsmethoden wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, unterstützt durch psychologische Dienste und Sozialarbeit verbessert werden muss. Das Motto sollte sein, dass für jeden neurologisch Kranken eine adäquate neurologische Versorgung möglich ist.

Wir müssen aber auch wissen, dass nur ständige wissenschaftliche Arbeit, Forschung und erfolgreiche Anwendung von Forschungsergebnissen die weitere Entwicklung der Neurologie ermöglicht und Forschung und Wissenschaft unterstützen.