Presseinformation der ÖGN zur Jahrestagung der ÖGN, 20.-22.3.2019, Eisenstadt
- Neue Entwicklungen bei Schlaganfall, Migräne und Epilepsien
- Drohenden Neurologen-Mangel vermeiden, spezialisierte Strukturen schaffen
Wien/Salzburg/Eisenstadt/Oberwart – Montag, 18. März 2019 – Rund 30 Prozent der Menschheit leiden an einer Krankheit des Gehirns. Kopfschmerzen führen mit 152,8 Millionen Betroffenen die Liste an, gefolgt von Schlafstörungen und -erkrankungen mit 44,9 Mio., Schlaganfall mit 8,2 Millionen und Demenzerkrankungen mit 6,3 Mio. „Neurologische Erkrankungen wie Migräne oder Schlaganfall werden zu Recht als Volkskrankheiten bezeichnet – dieses Thema bildet auch einen Schwerpunkt der 16. Jahrestagung der ÖGN. Sie kosten auch immer mehr gesund verbrachte Jahre und stehen auf Platz 1 der belastenden Beschwerden“, so ÖGN-Präsident Prim. Univ.-Prof. Mag. Dr. Eugen Trinka (Universitätsklinik für Neurologie am Uniklinikum Salzburg). „In unserer älter werdenden Gesellschaft werden Gehirnerkrankungen wie Schlaganfall, Depressionen, Demenzen, Angsterkrankungen, Hirntumore und Epilepsien in den nächsten Jahren dramatisch zunehmen und unser Gesundheitssystem vor enorme Herausforderungen stellen.“
Österreich braucht mehr Neurologen: 47 Prozent gehen in den nächsten 10 Jahren in Pension
Österreich wird in Zukunft mehr Neurologinnen und Neurologen brauchen als heute, und deutlich mehr neurologischen Nachwuchs als derzeit in Ausbildung ist. Heute gibt es1.397 aktive Fachärztinnen und Fachärzte für Neurologie, von denen 656 älter sind als 55. „47 Prozent erreichen in den nächsten zehn Jahren das gesetzliche Pensionsalter“, so Prof. Trinka. „Ein starkes Engagement für die Ausbildung von jungen Neurologinnen und Neurologen ist also vordringlich. Wir müssen den drohenden Neurologen-Mangel verhindern und ausreichende und flächendeckende Strukturen schaffen. Fakt ist, dass schwerstkranke Neurologie-Patienten an neurologischen Intensivstationen deutlich bessere Überlebenschancen und funktionelle Behandlungsergebnisse haben als in nicht-neurologischen Intensivstationen. Hier herrscht sicherlich Handlungsbedarf.“
Prim. Staykov: Zeitfenster für Thrombektomie bei akutem schwerem Schlaganfall wurde größer
Rund zehn Prozent der jährlich 24.000 Menschen, die in Österreich von einem ischämischen, also durch Minderdurchblutung des Gehirns bedingten Schlaganfall betroffen sind, weisen einen Gefäßverschluss einer großen hirnversorgenden Arterie auf und können seit einiger Zeit mit der Thrombektomie – der Thrombus wird per Katheter mechanisch entfernt – behandelt werden. Thromben, die länger als acht Millimeter sind, lassen sich nicht mehr medikamentös mittels Thrombolyse ausreichend auflösen.
„Vor Kurzem brachten die DEFUSE III-Studie und die DAWN-Studie neue Erkenntnisse zur Thrombektomie, die bereits Eingang in die Leitlinien zur Schlaganfallbehandlung fanden“, berichtet Prim. Priv.-Doz. Dr. Dimitre Staykov (Barmherzige Brüder Krankenhaus Eisenstadt), Mitglied des Tagungspräsidiums der ÖGN-Jahrestagung. Die DEFUSE III-Studie untersuchte die Wirksamkeit der Thrombektomie an Patienten, bei denen der Schlaganfall vor 6 bis 16 Stunden stattgefunden hatte, bei den Patienten der DAWN-Studie lag er bis zu 24 Stunden zurück. „Beide Studien kamen zu dem Ergebnis, dass bestimmte Patienten mit schweren Schlaganfällen auch nach relativ langer Zeit von der Thrombektomie profitieren“, so Prim. Staykov. „Entscheidend ist dabei die Gefäßanatomie der Patienten und das Vorliegen von Umgehungskreisläufen. Bei manchen Patienten, die schwere Schlaganfallsymptome zeigen, liegt zwar nur ein kleiner Infarkt vor, dieser ist aber mit einem großen, minder durchbluteten Hirnareal verbunden. Für dieses bedrohte Gewebe besteht die Gefahr, dass es abstirbt und zum Infarkt wird, aber es ist noch zu retten.“
MRT oder spezielles CT zeigen, bei welchen Patienten Thrombektomie infrage kommt
Das Vorliegen eines von der Ischämie gefährdeten, aber noch potentiell zu rettenden Hirngewebeareals lässt sich durch bildgebende Verfahren wie MRT oder ein spezielles CT darstellen. „Neu ist, dass wir so Patienten erkennen können, die innerhalb eines größeren Zeitfensters noch wirksam mit der Thrombektomie behandelt werden können“, so Prim. Staykov. „Daten aus den Subanalysen dieser Studien legen sogar nahe, dass bei Patienten mit günstigen Behandlungsprofilen noch über die 24 Stunden hinaus eine Thrombektomie möglich und sinnvoll ist.“
Damit Patienten möglichst rasch zur Thrombektomie kommen, ist ein engmaschiges Netz von Schlaganfalls-Versorgungseinrichtungen erforderlich. Bei der Qualität der Schlaganfallversorgung zählt Österreich zu den fünf besten Ländern in Europa, zeigt eine Studie (ESO ESMINT EAN SAFE Survey). Prim. Staykov: „Bei der Thrombolyse und bei den Thrombektomien liegen wir im Spitzenfeld.“
Prim. Rus: Immer bessere Migräne-Medikamente – Betroffenen nur unzureichend versorgt
12 Prozent der österreichischen Bevölkerung – 17 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer – leiden an Migräne unterschiedlicher Ausprägung und Häufigkeit. „Trotz der großen Verbreitung und wesentlichen Auswirkungen dieser Volkskrankheit ist die Versorgung mit migränespezifischen Medikamenten in Österreich nicht optimal“, sagt Prim. Dr. Marc Rus (Öffentliches Krankenhaus Oberwart), Mitglied des Tagungspräsidiums der Jahrestagung.
Neue Prophylaxe-Medikamente gegen chronische Migräne
Mit den Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) Antikörpern stehen erstmals Substanzen zur Verfügung, die spezifisch zur Migränevorbeugung entwickelt wurden. Seit Juli letzten Jahres ist Erenumab in der EU zur Behandlung chronischer Migräne zugelassen. Dieser monoklonale Antikörper wird einmal im Monat unter die Haut injiziert. Er blockiert die Rezeptoren für den CGRP-Botenstoff, der an der Schmerzweiterleitung beteiligt ist und eine große Rolle bei der Entstehung einer Migräneattacke spielt. Erenumab ist auch in Österreich als Therapie zur Migräneprophylaxe im Einsatz. „Eine große Hürde für die Anwendung ist, dass das neue Medikament nur in seltenen Fällen von der Krankenkasse erstattet wird. Aufgrund des hohen Preises von rund 500 Euro pro Monat werden in Zukunft weit weniger Migräne-Patienten von dieser neuen Entwicklung profitieren können, als notwendig“, so Prim. Rus. „Dass Patienten eine Therapie entweder nicht bekommen oder die hohen Medikamentenkosten selbst tragen müssen, ist äußerst unbefriedigend.“
Die Forschung entwickelt weiterhin neue Therapieformen. Seit Anfang März steht in Österreich Galcanezumab zur Prophylaxe episodischer und chronischer Migräne zur Verfügung, weitere CGRP-Antikörper wie Femanzumab und Eptinezumab stehen vor der Zulassung oder befinden sich in der Endphase der Entwicklung. Auch die Gepants, orale CGRP-Antagonisten, sind in Entwicklung.
Medikamentöse Versorgung in Österreich bleibt hinter dem Notwendigen zurück
„Insgesamt ist die medikamentöse Versorgung von Migränepatienten in Österreich klar verbesserungswürdig“, sagt Prim. Rus. Die „Eurolight“-Studie zeigt z. B., dass nur 6 Prozent aller Betroffenen Triptane zur Akutbehandlung erhalten. Die beste Versorgung gibt es für jene Patienten, die den Weg zu einem Facharzt für Neurologie finden. In Österreich sind das aber nur 17,5 Prozent.
Für eine bessere Versorgung ist ein abgestuftes, koordiniertes Zusammenspiel zwischen Hausärzten, niedergelassenen Neurologen und spezialisierten Migräne-Zentren notwendig, so Prim. Rus: „Damit die Patienten von diesen neuen Medikamenten auch profitieren können, ist es wichtig, dass sie von einem Facharzt für Neurologie untersucht und beraten werden, welche Therapien für sie in Frage kommen.“
Prof. Trinka: Hilfe bei genetisch bedingter Epilepsie
Auch in der Therapie der Epilepsien – diese gehören in Summe weltweit zu den häufigsten schweren neurologischen Erkrankungen – ist viel in Bewegung, berichtet Prof. Trinka: „Neue medikamentöse Therapien wirken nun auf den jeweiligen Krankheitsmechanismus, was sie grundlegend von klassischen Anti-Epileptika unterschiedet.“ Ein Beispiel ist hier die Tuberöse Sklerose, eine Krankheit, die durch genetisch bedingte TSC-Gen-Mutationen zu schwerer, therapieresistenter Epilepsie, Tumoren in Organen und Entwicklungsstörungen führt. Hier konnte der Target-Wirkstoff Everolimus entwickelt werden, der den Konsequenzen der genetischen Störung entgegenwirkt und damit Anfälle sowie Tumorwachstum stoppen kann. Intensiv geforscht wird auch, wie man Gendefekte überbrücken oder ein fehlendes Genprodukt ersetzen kann – das ist beispielsweise bei der Neuronalen Ceroid-Lipofuszinose geglückt. Für Kinder mit dieser seltenen, bislang tödlich verlaufenden Stoffwechselerkrankung gibt es jetzt eine Behandlungsoption.
Internationale Netzwerke bündeln Wissen zu komplexen und seltenen Erkrankungen
Seltene oder sehr komplexe neurologische Erkrankungen erfordern in der Regel mehr als nur eine Expertenmeinung. Gesundheitsdienstleister in ganz Europa haben deshalb die Europäische Referenznetzwerke (ERN) gegründet mit dem Ziel, das Wissen über seltene Erkrankungen zu bündeln. Dazu berufen die ERN-Koordinatoren einen „virtuellen“ Beirat aus Fachärzten verschiedener Fachgebiete ein, der die Diagnose und Behandlung eines Patienten überprüfen kann. Das Referenznetzwerk EpiCare unterstützt bei der Einschätzung und Behandlung von seltenen und komplexen Epilepsien. Die Online-Plattform Muscle & Nerve bietet Expertinnen und Experten gesammelt Publikationen über die neuesten Erkenntnisse zu neuromuskuläre Erkrankungen und möglichen Behandlungsoptionen.
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Quellen:
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Kontakt:
B&K – Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung, Mag. Roland Bettschart
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