Gedenken an Franz Gerstenbrand: Ein Visionär der Neurologie wäre 100 Jahre alt geworden

Am 6. September 2024 wäre em.o.Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c.mult. Franz Gerstenbrand 100 Jahre alt geworden. Er hat mit visionären Ideen die Neurologie in Österreich einerseits geprägt, andererseits auch einen wesentlichen Beitrag zu der Europäischen Neurologie geleistet, insbesondere der Brückenbildung zwischen Ost- und Westeuropäischen Ländern.

Franz Gerstenbrand wurde am 6. September 1924 in Hof, Nordmähren geboren. Sein Vater war Distriktarzt in Hof, seine Mutter spielte leidenschaftlich Klavier, wie er gerne privat berichtete. Seine Familie zog nach seiner Geburt nach Untertannowitz bei Nikolsburg, wo er die Volkschule und das Gymnasium besuchte. 1942 wurde er eingezogen, kam zur Luftwaffe und geriet in Gefangenschaft.

Franz Gerstenbrand studierte an der Medizin der Universität Wien, wo er 1950 promovierte und trat in die Psychiatrisch-Neurologische Universitätsklinik Wien bei Prof. Hans Hoff ein, der ihn zum Vorstandsassistenten ernannte. Hans Hoff blieb eine prägende Persönlichkeit in seinem Leben. Bis zum Lebensende bewahrte er ein lebensgroßes Gemälde von Hans Hoff portraitiert von seinem Onkel Alfred Gerstenbrand, einem bekannten österreichischen Maler, Schriftsteller und Karikaturisten.

Franz Gerstenbrand habilitierte 1967. Seine Habilitationsschrift „Das traumatische apallische Syndrom“, fand weltweit Beachtung als erstmalige sehr strukturierte und exakte klinische Darstellung der Ausprägungen des apallischen Syndroms.

1975 wurde er zum Primarius der II. Abteilung des Neurologischen Krankenhauses der Stadt Wien – Rosenhügel. 1976 folgte die Berufung nach Innsbruck an die Neurologische Universitätsklinik, die er bis zu seiner Emeritierung 1994 leitete.

Franz Gerstenbrand prägte in Österreich die Neurologie mit. Sein Interesse im Bereich der Neurotraumatologie sowie des apallischen Syndroms führte zur Entwicklung der Neurointensivmedizin, die insbesondere in der österreichischen Prägung unter der Leitung von Neurolog:innen als selbstständige Intensivmedizin wirkt. Er förderte die Übernahme der Behandlung von Schlaganfallpatient:innen von der Inneren Medizin zur Neurologie. Er etablierte die Tropen-Neurologie mit zahlreichen Spitals- und Unterstützungsprojekten in Entwicklungsländern finanziert häufig durch Österreich – ermöglicht durch seine Freundschaft mit dem österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Nicht zuletzt etablierte er das Pionierfeld Weltraumneurologie im Rahmen des Austromir Projektes. Die neurologischen Versuchsanordnungen, die für das Austromir Projekt auf die MIR-Station gebracht worden waren, blieben in den Folgejahren bis zur Außerbetriebnahme der MIR Station durch nachfolgende Kosmonauten in Verwendung. Franz Gerstenbrand initiierte die erste Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät Innsbruck.

Gerstenbrand prägte mehrere Generationen österreichischer Neurolog:innen. Sein internationales Engagement war auch durch Vernetzung geprägt. Gerne hat er junge Kolleg:innen internationalen Größen der Neurologie vorgestellt und sie bis zur Errötung der Vorgestellten gelobt, sodass er auch zur Vernetzung von Generationen in der Neurologie beitrug. Franz Gerstenbrand war Vernetzung zwischen Ost- und Westeuropa insbesondere wichtig und er unterstützte aktiv die „Danube Neurology“ Gruppe. 1986 schlug Prof. Wender von Poznan, Polen, eine vereinte neurologische Gesellschaft für Europa vor zu einer Zeit, als noch der eiserne Vorhang bestand. Der erste Pan-Europäische Kongress wurde von Prof. Bartko Slowakei 1989 veranstaltet – etwa 1.500 Teilnehmer waren ein klares Erfolgszeichen.

1991 gelang Franz Gerstenbrand als Kongresspräsident des 1. Europäischen Kongresses für Neurologie in Wien, der gleichzeitig der 2. Pan-Europäische Kongress war ein fulminantes Meeting unter Teilnahme von prominenten Ost- und Westeuropäischen Expert:innen einerseits, von prominenten russischen und amerikanischen Expert:innen andererseits. Dazu trug seine internationale Vernetzung deutlich bei. In seiner Willkommensansprache kündigte Franz Gerstenbrand die Gründung der European Federation of Neurological Societies (EFNS) an, ein Vorschlag der sehr positiv aufgenommen wurde und breite Zustimmung fand. Dr. Friederike Tschabitscher wurde beauftragt, die Organisation in ihrem Büro an der Klinik Rosenhügel zu leiten. Aus der EFNS wurde schließlich die heute mehr als 45.000 Neurolog:innen vertretende European Academy of Neurology.

Franz Gerstenbrand war lebenslang ein Mentor und beeinflußte in Österreich Generationen von Neurolog:innen. Er verstarb am 30. Juni 2017 im 93. Lebensjahr. Seine kirchliche Begräbnisfeier fand unter Teilnahme weltlicher und kirchlicher Würdenträger sowie vieler nationaler und internationaler Neurolog:innen statt. Er hinterließ seine Gattin Gudrun Gerstenbrand, 2 Töchter und eine Stieftochter.

Franz Gerstenbrands Publikationswirken umfasst 1169 Publikationen. Sie wurden strukturiert aufgearbeitet und sind auf der Website der Österreichischen Wachkoma Gesellschaft abrufbar (https://www.wachkoma.at/franz-gerstenbrand-datenbank/)

Ihm wurden zu Lebzeiten zahlreiche hohe Ehrungen zuteil: Ehrendoktorate der Karls-Universität Prag, der Aristotiles-Universität Thessaloniki, der Donau-Universität Krems, das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Graz, das Silberne Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich und das große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, Ehrenzeichen des Landes Tirol, das Ehrenzeichen der Medizinischen Universität Innsbruck, das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse, die Ehrenmitgliedschaft der European Academy of Neurology und die Verleihung der Valeriy-Gagarin-Medaille der Russian Space Organization genannt.

Wir gedenken zu seinem 100. Geburtstag.