Am 21. September jährt sich der Welt-Alzheimer-Tag. In Österreich leiden derzeit rund 130.000 Menschen an Demenz und davon 100.000 an der Alzheimer Krankheit.
„Die ausgewogenen Lebensweisen und die medizinischen Errungenschaften führen zu einer Steigerung unserer Lebenserwartung. In Österreich wird in den nächsten 10-15 Jahren der Anteil der über 60-Jährigen von 24% auf 37% der Gesamtbevölkerung anwachsen. Dieses Älterwerden der Bevölkerung führt auch dementsprechend zur Zunahme altersassoziierter Erkrankungen. Die Demenz und damit auch Alzheimer treten hauptsächlich im höheren Erwachsenenalter auf. Daher ist die Prävention umso wichtiger, um einer etwaigen Erkrankung vorzubeugen,“ so der Präsident der Österreichischen Gesellschaf für Neurologie Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian Enzinger, MBA. Ein wichtiger Faktor in der Behandlung von Morbus Alzheimer ist die Entwicklung neuer Wirkstoffe. „Die Amyloidkaskadenhypothese stellt die Ablagerung von Amyloid als ersten Schritt der Alzheimer-Neuropathologie dar. Über Interaktionen mit der Tau-Proteinopathie und einer Vielzahl molekularer Downstream-Kaskaden kommt es letztlich zur synaptischen Dysfunktion und zur Neurodegeneration. Die Anti-Amyloid und Anti-Tau Therapien stehen daher aktuell im Zentrum der klinischen Alzheimerforschung,“ so der Präsident der Österreichischen Alzheimergesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco. Nach einer jahrzehntelangen Serie von negativen Studien sind die aktuellen kausaltherapeutischen Entwicklungen in Hinblick auf die monoklonale Antikörpertherapie gegen Amyloid-ß bei Alzheimerpatient*innen sehr positiv. Im Juni 2021 wurde in einem beschleunigten FDA-Verfahren (USA) der monoklonale Antikörper Aducanumab zugelassen. Im Dezember 2021 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den Antrag zur Zulassung von Aducanumab zur Behandlung der Alzheimererkrankung in Europa abgelehnt. Seit der FDA-Zulassung für Aducanumab haben mit Gantenerumab, Lecanemab und Donanemab drei weitere monoklonale Antikörper um eine Zulassung in den USA angesucht. Lecanemab ist ein IgG1 monoklonaler Antikörper, der sich vorzugsweise gegen das löslich aggregierte Amyloid-ß richtet. Dieser wurde mittlerweile im Januar 2023 von der FDA zugelassen. In einer Phase II Studie an 854 Personen zeigte sich nach 18 Monaten ein Vorteil zugunsten von Lecanemab, während nach 12 Monaten noch kein signifikanter Unterschied für den primären Endpunkt bestand. Weiters konnte dabei auch eine sogenannte „Amyloidclearance“ nachgewiesen werden. Lecanemab bindet an die löslichen Amyloid-β-Moleküle und verhindert damit die Entstehung der Plaques. Der Wirkstoff wurde im Januar 2023 von der US-Arzneimittelbehörde FDA zur Behandlung von Alzheimer zugelassen. Die Ergebnisse der Phase-III-Studie wurden bei Alzheimer-Forschenden mit großer Zuversicht aufgenommen. Ob Lecanemab das Leben von Menschen mit frühem Alzheimer deutlich verbessern kann, ist derzeit noch fraglich. Einige Fachleute sprechen von einem Meilenstein, andere raten angesichts der Nebenwirkungen zur Zurückhaltung. „Die jüngsten Forschungsergebnisse stellen einen großen Fortschritt dar. Lecanemab löst Vorstufen der Amyloidablagerungen im Gehirn auf, die als Hauptursache von Alzheimer gelten. Mit dieser Studie ist jetzt zum ersten Mal bewiesen, dass es bei Erkrankten klar messbare klinische Verbesserungen gibt, wenn diese Plaques durch Medikamente verschwinden. Die große Gruppe der Alzheimer-Forschenden, die Ablagerungen des Eiweißmoleküls Beta-Amyloid für den geistigen Abbau verantwortlich machen, können sich nun bestätigt fühlen“, so Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco. Donanemab ist ein weiterer monoklonaler Antikörper, der sich gegen Aβ richtet, eine Pyroglutamat-Form von Amyloid-β, die ausschließlich in Plaques vorkommt. Dieser Wirkstoff zielt darauf ab, diese abgelagerten Plaques zu entfernen, anstatt nur die Ablagerung neuer oder das Wachstum bestehender Plaques zu verhindern. Die primäre Analysepopulation, für die die Studie ausgelegt war, bestand aus Personen mit einem mittleren Tau-Wert und klinischen Symptomen der Alzheimer-Krankheit. In dieser Population zeigte der primäre Endpunkt (iADRS) eine Verlangsamung der Verschlechterung um 35%. Ein wichtiger sekundärer Endpunkt (Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes, oder CDR-SB) zeigte eine Verlangsamung der Verschlechterung um 36% über 18 Monate. Zusätzliche vordefinierte sekundäre Analysen zeigten: 47% der Teilnehmer, die Donanemab erhielten, zeigten 1 Jahr nach Therapiebeginn keine Verschlechterung des CDRSB, eines wichtigen Maßes für die Schwere der Erkrankung. Im Vergleich dazu erlitten unter Gabe von Placebo, 29% der Teilnehmer*innen eine Verlangsamung der Verschlechterung. Bei den mit Donanemab behandelten Personen war die Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens nach 18 Monaten um 40% geringer [Alzheimer’s Disease Cooperative Study – instrumental Activities of Daily Living Inventory (ADCS-iADL)] als in der Placebogruppe. „Die positiven Veränderungen sind statistisch klar nachweisbar, aber was sie tatsächlich im Alltag bedeuten, ist noch umstritten. Eine Gruppe von Demenzexpert*innen ist der Meinung, dass Patient*innen davon kaum etwas merken, andere versichern, es sei ein deutlicher Effekt spürbar und auf jeden Fall relevant. Eine große Hoffnung ist aber, dass sich die positive Wirkung mit der Zeit verstärken könnte. Wie viel eine Langzeittherapie tatsächlich bringt und ob man weiter alle zwei Wochen Infusionen mit dem Antikörper verabreicht bekommen muss, ist im Moment noch offen“, so Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco. Durch die Behandlung mit der Anti-Amyloid-Therapie können verschiedene Nebenwirkungen auftreten. „Die Anti-Amyloid-Therapie kann im Gehirn zu kleinen Blutungen und Schwellungen führen. In der Studie merkten die meisten Betroffenen davon kaum etwas und klagten allenfalls über Schwindel und Kopfschmerzen. Eine anzustrebende „Zulassung mit Auflagen“ sollte sich möglichst nah an den Einschlusskriterien der klinischen Studien orientieren und regelmäßige MRT-Kontrollen zur frühzeitigen Erkennung von derartigen sogenannten ARIAs vorsehen, damit der Nutzen einer solchen Therapie das Risiko überwiegt“, so Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco. „In welchem zeitlichen Rahmen solche Zulassungen auch fallen, werden die neuen monoklonalen Amyloid-Antikörpertherapien gegen die Alzheimerkrankheit den Bedarf für Alzheimer-Spezialist*innen und dementsprechende Organisationsstrukturen erhöhen. Die Einbettung solcher spezialisierter Therapieeinheiten in funktionierende Netzwerke ist notwendig, um die Patient*innen von der Früherkennung bis zum Therapiemonitoring zu leiten. Im Hinblick auf die Patient*innen-Sicherheit werden Neurolog*innen bei diesem Aufbau eine zentrale Position einnehmen“, so Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian Enzinger abschließend.