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[toggle_block title=”Nie zu früh, nie zu spät: Schlaganfall-Prävention ist in jedem Alter ein Thema”]
Statement OÄ Doz. Dr. Julia Ferrari, Abteilung für Neurologie, Neurologische Rehabilitation und Akutgeriatrie, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Wien.
PK zum Welt-Schlaganfall-Tag; 24. 10. 2018, Michl’s Social Club, Wien
Schlaganfällen kann in vielen Fällen vorgebeugt werden. Eine entsprechende Lebensstilumstellung senkt zugleich auch die Risiken für Herz-Kreislauferkrankungen und vaskuläre Demenz.
Ein erheblicher Anteil der rund 24.000 jährlichen Schlaganfälle in Österreich wäre vermeidbar. In den meisten Fällen lassen sich die Risikofaktoren bereits lange vor dem Schlaganfall identifizieren. Sie sind beeinflussbar durch eine konsequente Behandlung und die Umstellung auf einen gesunden Lebensstil. Die gute Nachricht aber: Wir können anhand des Österreichischen Stroke Unit Registers zeigen, dass sich das mittlere Schlaganfall-Alter über die letzten Jahre immer weiter in das höhere Lebensalter verschiebt.
Wie die INTERSTROKE-Studie zeigt, sind zehn Risikofaktoren für 90 Prozent aller Schlaganfälle weltweit verantwortlich: Bluthochdruck, Bewegungsmangel, ungünstige Blutfettwerte, Ernährung, das Verhältnis von Taillen- und Hüftumfang, Rauchen, psychosoziale Faktoren, Alkohol, kardiale Erkrankungen und Diabetes.
Kein Rückgang der zentralen Risikofaktoren in Österreich
Das seit Jahren geführte „Stroke Unit Register“ liefert uns Daten von mehr als 150.000 Schlaganfällen. Dadurch sind wir in der Lage, die wichtigsten Risikofaktoren in Österreich zu erkennen: 79 Prozent aller Betroffenen hatten einen zu hohen Blutdruck. 54 Prozent wiesen ungünstige Blutfettwerte auf. Vorhofflimmern war bei 26 Prozent bekannt oder wurde neu diagnostiziert. 18 Prozent waren Raucherinnen bzw. Raucher. Vom Rauchen abgesehen sind diese Haupt-Risikofaktoren in den letzten Jahren leider kaum zurückgegangen. Für eine verbesserte Schlaganfall-Prävention muss daher verstärkt auf Aufklärung gesetzt werden.
Was das Schlaganfallsrisiko senken könnte
Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die nachweislich die Zahl der Schlaganfälle senken kann:
Die konsequente Umsetzung von fünf Lebenstilmaßnahmen (Nikotinkarenz, BMI <25 kg/m2, regelmäßige körperliche Aktivität, geringer Alkoholkonsum, gesunde Ernährung) kann das Risiko für einen Schlaganfall um bis zu 80 Prozent senken. Dies wurde in der “Nurses’ Health-Studie” und der „Health Professionals“ Follow-up-Studie mit über 40.000 männlichen und über 70.000 weiblichen Teilnehmern untersucht.
Bluthochdruck ist populationsbezogen der häufigste Risikofaktor. Dieser sollte öfter erkannt und auch nachhaltig behandelt werden: Wie eine Metaanalyse zeigt, lässt sich das Schlaganfallrisiko allein damit um 32 Prozent reduzieren.
Die frühzeitige Erkennung und Behandlung von Vorhofflimmern und die Behandlung mit innovativen blutverdünnenden Substanzen (NOAKs) senkt ebenfalls die Schlaganfallrate in dieser Risikogruppe erheblich. Auch hier gibt es aus österreichischer Sicht ein positives Ergebnis: Diese Therapie erhalten immer mehr Österreicherinnen und Österreicher (aktuell etwa 220.000 Personen).
Nichtrauchen ist eine weitere wichtige Maßnahme der Schlaganfallprävention. Was ein genereller Rauchstopp bringen kann, zeigte sich etwa im US-Bundesstaat Arizona: Nachdem das Rauchen dort in allen öffentlichen Gebäuden, an Arbeitsplätzen und in Restaurants verboten worden war, gingen die Schlaganfallraten um 14 Prozent zurück.
Nur durch den Einfluss der Statine konnte z.B. bei Patienten mit asymptomatischen Karotisstenosen das Risko für einen Schaganfall von drei Prozent in den 80er Jahren auf aktuell unter 0,5 Prozent gesenkt werden. Wir wissen, dass es Menschen gibt, die diese Medikamente nicht vertragen, für diese gibt es jetzt zusätzlich innovative Medikamente, die PCSK9 Inhibitoren, mit denen sich das LDL-Cholesterin dauerhaft wirksam senken lässt.
Die Umstellung auf einen gesunden Lebensstil ist auch deshalb so wichtig, weil zwischen kardiovaskulären Erkrankungen, Schlaganfall und vaskulärer Demenz enge Verbindungen bestehen und diese dieselben Risikofaktoren haben. Vaskuläre Demenz, die durch Durchblutungsstörungen im Gehirn wie bei einem Schlaganfall entsteht, ist nach Alzheimer die zweithäufigste einzelne Ursache von Demenz. Und noch eine wichtige Botschaft: Die erfolgreiche Beseitigung/Behandlung der vaskulären Risikofaktoren verschiebt das Manifestationsalter einer Alzheimer-Demenz in das höhere Lebensalter (ca. fünf Jahre).
Nie zu früh oder zu spät für Prävention
Eine neue Studie (Williamson et al.) zeigt, wie wichtig eine optimale kardiovaskuläre Gesundheit bereits in jungen Jahren ist: Sie verbessert die zerebrale Durchblutung und hilft, subklinische Läsionen in der weißen Gehirnmasse zu vermeiden. Erhöhte Risikofaktoren für Herz- und Kreislauferkrankungen führen hingegen bereits früh im Leben zu einer Verminderung der Dichte der Gehirngefäße und zu einer schlechteren Durchblutung des Gehirns. Risikofaktoren vermeiden oder bereits bestehende Gesundheitsrisiken beseitigen kann also nicht früh genug beginnen.
Eine weitere aktuelle Studie (Samieri et al.) beobachtete einen starken Zusammenhang zwischen der kardiovaskulären Gesundheit und beginnender Demenz und stellte fest, dass dieser Zusammenhang auch noch zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr für den Beginn und den Entwicklungsverlauf von Demenz entscheidend ist.
Die vorhandenen Evidenzen legen also nahe, dass es nie zu früh oder zu spät ist, um das Gehirn lebenslang gesund zu erhalten, das Demenzrisiko zu senken und einen herzgesunden Lebensstil zu finden. Das bedeutet: nicht Rauchen, gesunde Ernährung, normales Gewicht halten, Blutdruck, Cholesterinspiegel sowie Glukose-Insulin-Spiegel niedrig halten. Für die Gehirngesundheit ist es außerdem wichtig, in Bewegung zu bleiben. Darauf haben wir kürzlich mit dem „Fit for Brain“-Lauf hingewiesen.
Quellen:
O’Donnell et al. Global and regional effects of potentially modifiable risk factors associated with acute stroke in 32 countries (INTERSTROKE): a case-control study. The Lancet 2016, 388: 761-773
Neter et al. Influence of weight reduction on blood pressure: a meta-analysis of randomized controlled trials. Hypertension. 2003;42:878–884
Herman et al. Hospital admissions for acute myocardial infarction,angina, stroke, and asthma after implementation of Arizona’s comprehensive statewide smoking ban. Am J Public Health. 2011;101:491–496.
Jeffrey L. Saver, MD; Mary Cushman, MD, MSc: Striving for Ideal Cardiovascular and Brain Health. It Is Never Too Early or Too Late JAMA August 21, 2018 Volume 320, Number 7, 645-647
Williamson W, Lewandowski AJ, Forkert ND, et al. Association of cardiovascular risk factors with MRI indices of cerebrovascular structure and function and white matter hyperintensities in young adults [published August 21, 2018]. JAMA. doi:10.1001/jama.2018.11498
Samieri C, Perier M-C, Gaye B, et al. Association of cardiovascular health level in older age with cognitive decline and incident dementia [published August 21, 2018]. JAMA. doi:10.1001/jama.2018.11499
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[toggle_block title=”Stroke Units und endovaskuläre Zentren in Österreich”]
Statement Prim.a Univ.-Doz.in Dr.in Elisabeth Fertl, Past-Präsidentin der ÖGN; Vorständin der Neurologischen Abteilung, Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien; Gastprofessorin der Medizinischen Universität Wien.
PK zum Welt-Schlaganfall-Tag; 24. 10. 2018, Michl’s Social Club, Wien
Die Schlaganfallakutversorgung in Österreich ist im internationalen Vergleich vorbildlich im Hinblick auf Stroke Units und endovaskulären Zentren. Für die Zukunft muss diese Qualität erhalten und laufend an die sich ändernden wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Voraussetzungen angepasst werden. Das dichte Versorgungsnetz scheint gerade in Wien nach aktuellem Planungsstand eine Lücke zu bekommen.
Seit 2003 gibt es in Österreich für die Versorgung von akuten Schlaganfällen „Stroke Units“, wobei nun das Netzwerk als flächendeckend dicht zu bezeichnen und auch die 24/7-Verfügbarkeit von endovaskulären Zentren gewährleistet ist. Im Österreichischen Strukturplan Gesundheit wurden zuletzt 2017 die Kriterien für die Strukturqualität der Stroke Units aktualisiert und auch erstmals ein interdisziplinäres Expertisezentrum namens „endovaskuläre Neurointervention“ definiert. Eine Stroke Unit muss verpflichtend einer neurologischen Abteilung angeschlossen sein. Sie muss jeden Tag rund um die Uhr verfügbar und innerhalb von maximal 60 Minuten erreichbar sein, und umfasst einen Versorgungsbereich von mindestens 200.000 Einwohnern.
Die Aufgabe einer Stroke Unit liegt in der Aufnahme und multimodalen Überwachung von Akutpatienten mit Verdacht auf Schlaganfall. Durch ein multiprofessionelles Team werden dort der klinische Zustand des Kranken und seine Vitalparameter überwacht, häufige Begleiterkrankungen und Komplikationen werden frühzeitig erkannt und behandelt. Weiters erfolgt eine Frührehabilitation im Hinblick auf Schlucken und Mobilisation. Die mittlere Aufenthaltsdauer auf diesen Schlaganfall-Überwachungsstationen liegt österreichweit bei etwa drei Tagen.
Die Eckpfeiler der Behandlung auf einer Stroke Unit sind die Verabreichung der systemischen Thrombolyse zur Wiedereröffnung des verschlossenen Gehirngefäßes. Dafür kommen nur ausgewählte Patienten in Frage, wobei Österreich mit einer durchschnittlichen Thrombolyse-Rate von 18 Prozent im oberen Feld in Europa liegt. Multimodales Monitoring, Frührehabilitation und Behandlung von Komplikationen werden bei allen Patienten angewandt. Dies führt in Summe zu weniger Todesfällen und weniger Behinderung nach akuten Schlaganfällen (De Sousa et al., 2018).
Die Arbeit der Stroke Units in Österreich ist zwar im internationalen Vergleich sehr gut, muss aber beständig weiter verbessert werden. Die European Stroke Organisation hat etwa zum Weltschlaganfalltag das Ziel formuliert, dass 90 Prozent aller Schlaganfallpatienten in Europa bis zum Jahr 2030 von einer Stroke Unit aufgenommen werden. Diese Vorgabe haben wir in Österreich noch nicht erreicht. Darüber hinaus scheint nun in Wien eine ernsthafte Versorgungslücke im Stroke-Unit-Netzwerk zu entstehen – vor diesem Zustand hat die ÖGN seit Jahren gewarnt.
Stroke Unit hat auch „Kümmererfunktion“
Stroke Units tragen wesentlich dazu bei, dass mehr Menschen Schlaganfälle überleben und danach weniger Behinderungen davontragen. Wie eine aktuelle deutsche Studie zum Qualitätsmanagement zeigt (Nabavi et al., 2018), muss sich eine Stroke Unit aber nicht nur um die Patienten kümmern, sondern hat zusätzlich noch eine sogenannte „Kümmerer-Funktion“: Sie muss auch dafür sorgen, dass der gesamte Versorgungsprozess optimal läuft: die Zusammenarbeit innerhalb des Krankenhauses, die Netzwerke außerhalb des Spitals, die Organisation des Rettungswesens, das Qualitätsmanagement, Wissenschaft und Entwicklung, Fort- und Weiterbildung, die Nachsorge sowie die Öffentlichkeitsarbeit (siehe Abbildung). Hier gibt es ständig Optimierungs-Möglichkeiten.
„Stroke Mimic“ – sieht aus wie Schlaganfall, ist aber keiner
Tritt plötzlich eine halbseitige Lähmung auf, so handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Schlaganfall. Es gibt aber auch andere Krankheitsursachen für so ein klinisches Bild, die erst nach dem Ablauf der gesamten Diagnostik in der Stroke Unit bekannt werden. Wenn das klinische Erscheinungsbild wie ein Schlaganfall aussieht, aber den Untersuchungsergebnissen zufolge keiner ist, so nennt man das „Stroke Mimic“. International sind zwischen 20 und 25 Prozent der Patienten, die auf den Stroke Units liegen, von „Stroke Mimic“ betroffen. Steigt der Anteil dieser Patienten über 25 Prozent, so ist das ein Anzeichen, dass etwas mit der Qualität der Stroke Unit nicht stimmt: Entweder wird sie falsch genützt oder es gibt zu wenige Stroke Unit Betten. Selbstverständlich wollen wir, dass Patienten mit Schlaganfallverdacht sofort zu den Stroke Units kommen, aber bei der Kapazitätsplanung müssen immer auch die „Stroke Mimic“-Patienten mitberechnet werden.
Endovaskuläre Zentren
Auch die Schlaganfallzentren, in denen die endovaskuläre Thrombektomie durchgeführt werden kann, wurden im ÖSG von 2017 erstmals definiert. Demnach muss ein Zentrum für „endovaskuläre Neurointervention“ bestimmte Strukturqualitätskriterien erfüllen – von der Anzahl der Ärztinnen und Ärzte, der Angiografie, der Neurochirurgie bis hin zur Intensivstation. Ein wesentlicher Punkt besteht hier in der Zusammenarbeit mit der Radiologie und Neurochirurgie. Die Neurochirurgie wird einerseits beim Schlaganfallpatienten für seltene Notfälle benötigt, sie bringt aber auch Patienten zum interventionellen Radiologen. Das ist wichtig, weil jene Radiologen, die Angiografien durchführen, eine gewisse Mindestzahl dieser Untersuchungen machen müssen, damit sie ihre speziellen Fertigkeiten erhalten können. Somit kommen die Patienten also von zwei Seiten zum endovaskulären Neurointerventionszentrum: von der Thrombektomie bei akuten zerebralen Großgefässverschlüssen und von der Neurochirurgie bei Aneurysmen und Malformationen an den Hirngefäßen.
Neues Netzwerk für Teleradiologie in Ostösterreich
Wie die DAWN Studie gezeigt hat, kann man das Zeitfenster für die Thrombektomie erweitern, wenn eine ausgklügelte Bildgebung zur Verfügung steht. Somit wird die neue Behandlungsmöglichkeit der Thrombektomie bei Schlaganfall zu einem Motor für die Etablierung von Netzwerken für Teleradiologie. Dies ist eine große Herausforderung für das österreichische Spitalswesen, da hier Bundesländergrenzen überwunden und unterschiedliche Kostenträger zusammenspielen müssen. In Ostösterreich – Wien, Niederösterreich und dem Nordburgenland – ist es nun gelungen, ein teleradiologisches Netzwerk zu etablieren, in dem die verschiedenen Krankenhäuser, die Kostenträger und die Bundesländer so vernetzt sind, dass Bilder vom Zuweiser an das diensthabende endovaskuläre Interventionszentrum geschickt werden können. Die positiven Entwicklungen in der Schlaganfall-Behandlung zeigen aber auch, dass die Gesundheitsplanung ständig an den wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden muss.
Quellen:
Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) im Auftrag der Bundesgesundheitsagentur: Österreichischer Strukturplan Gesundheit 2017 inklusive Großgeräteplan gemäß Beschluss der Bundes-Zielsteuerungskommission vom 30. Juni 2017
De Sousa D, et al. Access to and delivery of acute ischemic stroke treatments: A survey of national scientific societies and stroke experts in 44 Eurpean countries. Eur Stroke J 2018;0(0):1-16.
R.G. Nogueira, A.P. Jadhav, D.C. Haussen, A. Bonafe et al (for the DAWN Trial Investigators): Thrombectomy 6 to 24 Hours after Stroke with a Mismatch between Deficit and Infarct. The new england journal of medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa1706442
D. G. Nabavi, M. Ossenbrink, O. Busse: Qualitätsmanagement in der Stroke Unit. Akt Neurol DOI: 10.1055/a-0642-1803
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[toggle_block title=”Mechanische Beseitigung von Hirn-Thrombosen setzt sich in Österreich durch, das Zeitfenster wird größer – Rettungssanitäter sollen lernen, schwere Schlaganfälle gleich zu erkennen”]
Statement Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, Leiter Abteilung für Neurologie, neurologische Rehabilitation und Akutgeriatrie, Barmherzige Brüder Krankenhaus Wien.
PK zum Welt-Schlaganfall-Tag; 24. 10. 2018, Michl’s Social Club, Wien
Die mechanische Beseitigung von Thrombosen mittels endovaskulärer Therapie ist bei schweren Schlaganfällen sehr wirksam, und das Zeitfenster für diese Behandlung wird immer größer. Die Zahl dieser Eingriffe steigt in Österreich beständig an. Für den optimalen Ablauf der Therapie müssen Rettungssanitäter schwere Schlaganfälle erkennen können, die für eine Thrombektomie in Frage kommen – ein entsprechendes Pilotprojekt läuft.
Wenn Patienten einen proximalen Verschluss der Hirnarterie erleiden, also einen schweren Schlaganfall aufgrund eines Blutgerinnsels, können wir den Thrombus mechanisch entfernen. Die sogenannte endovaskuläre Therapie oder Thrombektomie ist eine sehr junge Behandlungsoption. In Österreich haben wir 2011 begonnen, sie bei schweren Schlaganfällen einzusetzen. 2013 zeigten allerdings Studiendaten, dass die Methode nicht den erhofften Erfolg brachte und der Therapieansatz stand vor dem Aus. Die bahnbrechende Entwicklung der sogenannten Stent-Retriever-Systeme sorgte schließlich im Jahr 2015 für erhebliche Verbesserungen.
Die Thrombektomie ist der neue Therapiestandard bei der Behandlung schwerer Schlaganfälle, die durch den akuten Verschluss einer großen Hirnarterie bedingt sind.
Zeitfenster für endovaskuläre Therapie hängt vom Einzelfall ab
Völlig neu wird inzwischen der Faktor Zeit bei endovaskulären Therapien gesehen. Ursprünglich war man der Ansicht, dass ein schwerer Schlaganfall in einem klar definierten Zeitfenster behandelt werden muss, in dem noch genügend rettbares Hirngewebe vorhanden ist. Aktuelle Studien (DEFUSE 3; DAWN; Desai et al.) zeigen aber, dass es wichtiger ist, individuell und in Abhängigkeit vom Infarktgeschehen selbst vorzugehen. Man muss also erkennen, wie viel rettbares Hirngewebe der Patient noch hat und wie viel Gewebe bereits zerstört ist. Das kann von Person zu Person sehr unterschiedlich sein.
Je nach Situation entscheiden die Spezialistinnen und Spezialisten, ob sie das verschlossene Gefäß mit einer Thrombektomie wieder öffnen. Denn glücklicherweise gibt es immer noch Kollateralen – also Nebenäste einer Leitungsbahn – im Gefäßsystem, die in das gleiche Versorgungsgebiet führen und Teile des vom Infarkt bedrohten Gewebes weiter durchbluten. Mit moderner Bildgebung lässt sich das gut darstellen. Diese eingeschränkte Durchblutung reicht manchmal noch aus, um die Struktur für eine gewisse Zeit zu erhalten – und genau dieser Zeitraum ist je nach Person und Ausprägung der Kollateralen unterschiedlich lang.
Für die endovaskuläre Therapie bedeutet das eine Ausweitung der Indikationsstellung: Die Therapie ist also nicht ausschließlich binnen fünf Stunden nach dem Schlaganfall wirksam, sondern – wenn noch genügend rettbares Gewebe besteht – auch bis zu 16 Stunden danach.
Zunahme der endovaskulären Therapie nach Schlaganfall in Österreich
Unsere Grafik zeigt, dass immer mehr Thrombektomien in Österreich durchgeführt werden: 2011 sind nur rund 150 Patienten auf diese Weise behandelt worden, seither stieg die Zahl der Eingriffe bis 2015 stabil an. Ab 2015 war die medizinische Evidenz der Therapie gesichert. Heute liegen wir bei rund 900 Thrombektomien pro Jahr. Wir rechnen, dass von den 24.000 Schlaganfällen, die jährlich in Österreich verzeichnen werden, zwischen fünf und zehn Prozent schwere Schlaganfälle sind und mit einer endovaskulären Therapie versorgt werden müssten. Das wären künftig zwischen 1.200 und 2.400 Patienten pro Jahr.
Um Patienten eine endovaskuläre Therapie zu ermöglichen, bilden sich in Österreich immer dichtere Netzwerke. Derzeit gibt es 39 einfache Stroke Units und neun gut etablierte Interventionszentren, Comprehensive Stroke Centers (Zahl der Interventionen 50 – 200/ Jahr), zwei weitere Zentren sind im Aufbau. Stroke Units und Comprehensive Stroke Centers intensivieren die Zusammenarbeit, so dass eine flächendeckende Versorgung rund um die Uhr möglich ist.
Pilotprojekte zur Erkennung schwerer Schlaganfälle
In Tirol gibt es seit Februar 2018 einen Modellversuch, der darauf zielt, einen schweren Schlaganfall frühestmöglich zu erkennen. Wenn etwa ein Patient in einem Tiroler Bergtal einen Schlaganfall hat, geht der Notruf der Angehörigen an die Rettungszentrale. Diese muss prähospital einschätzen, ob ein Schlaganfall vorliegt oder nicht. Jetzt wollen wir das Ganze noch verfeinern: Die Rettungsleitstelle Tirol verwendet einen Abfrage-Algorithmus, der feststellen soll, ob es sich um einen schweren Schlaganfall handelt. Beim schweren Schlaganfall erfolgt der direkte Transport in ein Interventionszentrum, z.B. auch mit Hubschrauber-Einsatz.
Dafür haben wir ein spezielles System entwickelt, das die Merkmale des schweren Schlaganfalls mit Punkten bewertet. Addiert man die Punkte, lässt sich der Schweregrad des Schlaganfalls gut einschätzen. Ab einer Punkteanzahl von vier oder mehr werden die Patienten gezielt in ein Zentrum gebracht, das die endovaskuläre Therapie durchführen kann – in Tirol etwa nach Innsbruck. Ein leichter Schlaganfall wird natürlich auch sofort versorgt, aber dafür braucht es die systemische Thrombolyse und die Versorgungswege sind etwas anders. Das Tiroler Pilotprojekt hat im Februar begonnen und wird wissenschaftlich evaluiert. Ein ähnliches Projekt soll nächstes Jahr in Niederösterreich starten.
In Wien teilen sich drei Krankenhäuser – AKH Wien, Rudolfstiftung und Barmherzige Brüder – die Tage auf, an denen endovaskuläre Therapien durchgeführt werden. Seit 1. Oktober läuft ein Modellversuch, bei dem die Wiener Rettungskräfte schwere Schlaganfälle an den Tagen, an denen wir zuständig sind, statt in das nächste Stroke Zentrum gleich ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder bringen. Wir haben die Wiener Rettungssanitäter so ausgebildet, dass sie einen schweren von einem leichten Schlaganfall unterscheiden können. Es wird wissenschaftlich evaluiert, wie sich dadurch die Versorgungzeiten verbessern und wie gut die Rettungssanitäter die Schlaganfälle beurteilen können.
Um auch Laien zu vermitteln, wie man einen schweren von einem leichten Schlaganfall unterscheiden kann, haben wir einen Film gedreht, in dem fünf Merkmale dargestellt werden: Gesichtslähmung (Facialdefizit), Armschwäche, Sprachstörung, Beinschwäche, Herdblick (Blickwendung). Es gibt auch eine entsprechende Broschüre dazu.
Quellen:
G.W. Albers, M.P. Marks, S. Kemp et al (for the DEFUSE 3 Investigators): Thrombectomy for Stroke at 6 to 16 Hours with Selection by Perfusion Imaging. N Engl J Med 2018;378:708-18
Shashvat M Desai, Marcelo Rocha, Bradley J Molyneaux et al: Thrombectomy 6-24 hours after stroke in trial ineligible patients. J NeuroIntervent Surg 2018;0:1–6. doi:10.1136/neurintsurg-2018-013915
R.G. Nogueira, A.P. Jadhav, D.C. Haussen, A. Bonafe et al (for the DAWN Trial Investigators): Thrombectomy 6 to 24 Hours after Stroke with a Mismatch between Deficit and Infarct. DOI: 10.1056/NEJMoa1706442
Lehrfilm: https://vs-pd09.sf.apa.at/vs_vielgesundheit/20180921_13_239967_Lehrfilm_FastPlus_210918_1080.mp4
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[toggle_block title=”Schlaganfallversorgung: Österreich im europäischen Spitzenfeld”]
Statement a.o. Univ.-Prof. Dr. Stefan Kiechl, Präsident der Österreichischen Schlaganfallgesellschaft (ÖGSF), Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck.
PK zum Welt-Schlaganfall-Tag; 24. 10. 2018, Michl’s Social Club, Wien
Österreich befindet sich bei der Schlaganfallversorgung im europäischen Spitzenfeld, doch in der Nachsorge gibt es Luft nach oben. Das Gesundheitsministerium hat nun einen „Qualitätsstandard Schlaganfall“ ausgearbeitet und auch ein europaweiter Aktionsplan soll für Verbesserungen sorgen.
Bei der Qualität der Schlaganfallversorgung zählt Österreich zu den fünf besten Ländern in Europa. Zu diesem Schluss kam eine aktuelle Studie (ESO ESMINT EAN SAFE Survey), die alle europäischen Länder verglichen hat. Bei der Thrombolyse ist Österreich gemeinsam mit Dänemark Europameister. Auch bei den Thrombektomien, der mechanischen Entfernung von großen Blutgerinnseln, liegen wir ganz weit vorne.
Dass sich Österreich im europäischen Spitzenfeld befindet, hängt mit dem dichten Netz an Schlaganfalleinheiten zusammen, das flächendeckend das gesamte Bundesgebiet abdeckt – also nicht nur die Großstädte sehr gut versorgt, sondern auch ländliche Regionen. In anderen Ländern gibt es zumeist nur kleine Stroke Units, die eine Grundversorgung gewährleisten, und einige wenige große Stroke Units, die Spitzenmedizin betreiben.
Weiters zeichnet Österreich aus, dass in den letzten 15 Jahren kontinuierlich Qualitätskontrolle betrieben wurde. In einem Register werden alle wichtigen Informationen zum Management der Stroke Unit-Patienten gesammelt. Durch die regelmäßigen Auswertungen dieses Registers konnte jede Stroke Unit allfällige Schwächen erkennen und beseitigen.
Österreich schneidet also im europäischen Vergleich sehr gut ab und hat in der Schlaganfallversorgung einen hohen internationalen Stellenwert. Dieser äußert sich auch darin, dass der Österreicher Prof. Michael Brainin zum neuen Präsidenten der Weltschlaganfallgesellschaft gewählt wurde. 2020 wird der erste gemeinsame Kongress der europäischen und der Weltschlaganfallorganisation in Wien stattfinden. Diese Veranstaltung wird der größte Kongress zum Thema Schlaganfall, den es je gegeben hat.
Österreichweiter Qualtiätsstandard Schlaganfall
Durch die Optimierung aller Abläufe vom Rettungswesen bis zur Rehabilitation kann die gesamte Behandlung des Schlaganfalls weiter verbessert werden. In einigen Bundesländern wie der Steiermark, in Tirol, Oberösterreich und seit kurzem auch in Niederösterreich wurden qualitativ gute „Behandlungspfade“ implementiert. Vom Gesundheitsministerium wurde unter der Bezeichnung „Qualitätsstandard Schlaganfall“ ein Pfad für ganz Österreich ausgearbeitet, der sich zurzeit in der Endbegutachtung befindet. Da es bislang nur für ganz wenige Krankheitsbilder Qualitätsstandards gab, zeigt sich, dass der Schlaganfall als ganz besonders wichtig gesehen wird. Wenn die Eckpunkte der Schlaganfallversorgung festgelegt werden, können wir in den nächsten Jahren weitere Fortschritte erzielen.
Optimierungsmöglichkeiten bei Nachsorge und Prävention
Luft nach oben gibt es vor allem in der Nachsorge. Anders als etwa bei einer Tumorerkrankung oder bei einem Herzinfarkt werden Schlaganfallpatienten nicht alle sechs Monate einbestellt, um entsprechende Untersuchungen durchzuführen. In den nächsten Jahren soll die Schlaganfallnachsorge in ganz Österreich etabliert werden, denn jeder fünfte Schlaganfall ist ein wiederholter Gehirnschlag. Dieses Fünftel aller Fälle wäre verhinderbar – wenn alles optimal laufen würde, die Patienten in der Nachbetreuung die besten verfügbaren Medikamente bekämen, und ihre Risikofaktoren so eingestellt würden, dass sie ihre Zielwerte Guideline-konform erreichen.
Europaweiter Aktionsplan Schlaganfall
Am 28. Oktober – am Tag vor dem Weltschlaganfalltag – wird der Aktionsplan Schlaganfall für Europa 2018-2030 veröffentlicht. An der Ausarbeitung waren auch mehrere österreichische Experten beteiligt. Hier werden die Ziele für ganz Europa definiert, die in den nächsten Jahren erfüllt werden sollen. Ein zentrales Ziel ist es, dass Schlaganfallpfade in ganz Europa ausgerollt werden sollen. Die Modelle aus Österreich sind hier Vorbild und zeigen, dass solche Pfade auch das Behandlungs-Outcome der Schlaganfallpatienten verbessern – sie haben also bessere Chancen, wieder ganz gesund zu werden. Ein zweites zentrales Ziel ist es, die Schlaganfalleinheiten europaweit noch weiter auszubauen. Als dritte Maßnahme soll noch mehr in die Prävention investiert werden.
Quelle:
Diana Aguiar de Sousa, Rascha von Martial, Sonia Abilleira et al (ESO ESMINT EAN SAFE Survey on Stroke Care collaborators): Access to and delivery of acute ischaemic stroke treatments: A survey of national scientific societies and stroke experts in 44 European countries European Stroke Journal 0(0) 1–16, 2018
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[toggle_block title=”Keine Entwarnung bei Schlaganfällen – jeder 4. Über-25-jährige stirbt an einem Schlaganfall”]
Statement Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Brainin; Präsident der World Stroke Organisation; Leiter des Departments für Klinische Neurowissenschaften und Präventionsmedizin sowie des Zentrums für Neurowissenschaften, Donau-Universität Krems.
PK zum Welt-Schlaganfall-Tag; 24. 10. 2018, Michl’s Social Club, Wien
In Zentral- und Osteuropa stirbt jeder 4. Über-25-jährige an einem Schlaganfall.
Auf dem Welt-Schlaganfall-Kongress in Montreal, der soeben zu Ende gegangen ist, hat sich gezeigt, dass die Schlaganfall-Epidemie noch brisanter ist als bisher gedacht. Die weltweite Wahrscheinlichkeit, dass ein Über-25-jähriger an einem Schlaganfall stirbt, hat sich inzwischen von 12 Prozent auf 14 Prozent erhöht. Das bedeutet, dass weltweit jeder 7. Mensch über 25 Jahre an einem Schlaganfall verstirbt. In China ist es jeder 3., und in Zentral- und Osteuropa jeder 4., und das schließt auch Österreich ein. Es sollte sich also niemand der Illusion hingeben, dass es hier eine Entwarnung gibt.
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Weiterführender Link zu Österreichische Schlaganfall-Gesellschaft